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An verschiedenen Orten habe ich immer wieder und
wiederum erwähnt, daß es eine interessante Tatsache
ist, daß aus der Haeckel-Schule heraus, also von einem
Haeckel-Schüler, von Oscar Hertwig, ein Buch
geschrieben worden ist, ein ausgezeichnetes Buch: «
Das Werden der Organismen, eine Widerlegung von
Darwins Zufallstheorie.»
Oscar Hertwig hat darin auf die verschiedenen
Schattenseiten des Darwinismus hingewiesen. Ich habe
dieses Buch viel gelobt. Aber auf dem Boden unserer
geisteswissenschaftlichen Bewegung müssen Sie sich an
völlige Autoritätslosigkeit gewöhnen. Denn vor kurzer
Zeit erschien ein anderes Buch von demselben Oscar
Hertwig: « Zur Abwehr des ethischen, sozialen und
politischen Darwinismus.» Jetzt dürfen Sie nicht etwa
sagen: Nun, der Steiner hat den Hertwig gelobt, also
studieren wir jetzt in diesem Sinne auch sein neuestes
Buch -, denn dann werden Sie eine Enttäuschung
erleben. Die Enttäuschung, daß ich sagen muß: Während
das eine Buch ein ganz ausgezeichnetes Buch ist, ist
dieses neueste Buch das Dilettantischste, Unsinnigste,
was man überhaupt nur reden kann über die betreffenden
Kapitel. Wenn Sie also bloß sagen wollen: Der Steiner
hat das gelobt, also können auch wir es wiederum als
Evangelium hinnehmen -, dann sind Sie nie sicher, daß
ich nicht wiederum genötigt bin, das, was auf
demselben Grund und Boden entsteht, mit den
entgegengesetzten Prädikaten zu belegen.
Autoritätsglaube darf eben in unseren Reihen nicht
blühen, sondern nur eigenes Anschauen, eigene Meinung.
Aber wovon rührt das denn eigentlich her? Das rührt
davon her, daß Hertwig ein ausgezeichneter
Naturforscher ist; aber die Begriffe der
Naturforschung darf man nicht in das soziale Leben
einführen. Tut man das, dann findet man überall nur
das Tote, das Absterbende der Geschichte, wie zum
Beispiel bei Gibbon, der die ausgezeichnete Geschichte
des Verfalls des Römischen Reiches geschrieben hat.
Das ist ein Geheimnis - ich habe auch dieses schon
dargestellt - des geschichtlichen Werdens, daß, wenn
man dieses geschichtliche Werden betrachten will mit
den Begriffen, die in der Naturwissenschaft gelten,
man niemals das, was wächst und sproßt, sondern nur
das finden wird, was in den Leichnam übergeht. Nur
Verfallserscheinungen des geschichtlichen Lebens
trifft man, wenn man die Begriffe verwenden will, die
in der Naturwissenschaft gut anwendbare sind. Die
Menschen ahnten das bisweilen. Daher hat Treitschke
gesagt, die Triebkräfte in der Geschichte wären die
Leidenschaften und die Dummheiten der Menschen. So ist
es nicht. Es sind unbewußte Kräfte, die da
abwärtssteigen im geschichtlichen Werden.
Daher ist das wahr: Wenn man ins öffentliche Leben,
also auch ins praktische Leben den Verfall
hineinbringen will, dann setzt man in die Parlamente
Gelehrte und Theoretiker. Diese Leute werden nur
solche Gesetze auskochen, die Verfallserscheinungen
geben, weil mit dem, was heute als wissenschaftlich
gilt, nur die Verfallserscheinungen in der Geschichte
gefunden werden können. Diese Dinge müssen in das
Bewußtsein der Menschen hereintreten. Es ist das weit
notwendiger, als die meisten Menschen glauben, und muß
erfaßt werden, wenn man es ehrlich und aufrichtig
meint mit dem, was die Menschheit aus der
gegenwärtigen katastrophalen Zeit herausführen soll.
Es geht nicht an, weiter die wichtigen Ereignisse zu
verschlafen, die unbewußt ins Menschenleben
hereintreten, denen die Menschen nicht gewachsen sein
werden mit ihrem Bewußtsein, wenn sie sie nicht
beleuchten wollen mit der Geisteswissenschaft. Aber da
handelt es sich eben darum, daß man das Leben in
seiner Wirklichkeit erfaßt, daß man wirklich
hineinschaut in die wahre Gestaltung des Lebens.
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